Kostproben

Willkommen in meiner Welt der Worte!

Tauchen Sie ein in die faszinierenden Geschichten und einzigartigen Welten, die ich mit großer Leidenschaft für Sie geschaffen habe. Auf dieser Seite finden Sie exklusive Kostproben meiner Bücher – spannende Ausschnitte, die Ihnen einen ersten Einblick in meine Werke geben und Ihre Neugier wecken sollen. Lassen Sie sich verzaubern und inspirieren, und begleiten Sie mich auf meinen literarischen Reisen. Viel Freude beim Lesen!

Die Geschichte vom weißen Mädchen

Die Geschichte vom weißen Mädchen Die Geschichte vom weißen Mädchen Die Geschichte vom weißen Mädchen Die Geschichte vom weißen Mädchen

Büderlein und Schwesterlein (1945)

Einen Monat später wäre die Familie froh gewesen, zuhause in Wisterschan tagtäglich durch das notdürftig vernagelte Loch in der Haustür erinnert zu werden, aber da hatten sie schon kein Zuhause mehr.

Wie eine Sommerböe wehte Doris an diesem Mittwoch im Juni durch die Korridortür, riss sich das nach Großmütterchenart gebundene schwarze Kopftuch herunter und strich mit dem Handrücken über die rußverschmierte Stirn. Den langen Mantel hängte sie an die Garderobe und verschwand in der Küche. Sie schnitt im Vorbeigehen ihrem zerzausten Spiegelbild im Glas über der Kredenz eine Grimasse und griff sich aus einem Korb unter der Spüle einige Kartoffeln, setzte sich auf den Hocker daneben und begann, sie direkt in das Komposteimerchen zu schälen.

„Sie sind wieder beim Bartusch-Bauern. Am Misthaufen steht der Panjewagen“, warf sie hin, noch ein bisschen außer Atem.

Die Mutter riss am Herd entsetzt die Augen auf und zog den Kopf zwischen die Schultern. Vater vergaß an seiner Pfeife zu ziehen und senkte die Hand mit dem Stopfer: „Hat dich einer gesehen?“

„Jungfrau Maria, bitte für uns...“ murmelte Mutter geistesabwesend und rührte weiter im Suppentopf.

Doris hatte die dritte gelb glänzende Knolle in den Wassertopf geworfen, da wummerte es unten an die Haustür. Das Messer klirrte auf die Fliesen.

„Sie sind da. Wohin?“, flüsterte das Mädchen. Weg, nur weg war der Gedanke, der ihren Kopf ausfüllte. Die Flucht nach draußen war praktisch versperrt. Um zur Hintertür in den Garten zu kommen, wäre sie ihnen direkt in die Arme gelaufen. Die verborgenen Durchschlupfe in den Hecken zu den Nachbarsgärten waren unerreichbar jetzt.

„Aufmachen, los! Biksa[1], Frau! Verdammte Nazischweine!“, grölte es im Befehlston.

Die Mutter presste sich die Faust gegen die Zähne, um nicht loszuwimmern, der Vater gab der Tochter ein Zeichen.

Hastig kickte diese ihre Schuhe unter die Ofenbank und flitzte auf Strümpfen ins Schlafzimmer.

Unten splitterte das Holz der massiven Kassettenfassung. Mit einem lauten Krachen knallte die Haustür gegen die Wand.

Sollte sie sich im Schrank verstecken? Gehetzt taxierte sie in Sekundenbruchteilen jedes Möbelstück nach seiner Schutzqualität. Helmut, ihr kleiner Bruder, zerrte aufgeregt an ihrem Ärmel: „Komm, schnell! Hier, kriech unter das Bett!“

Im rechten Winkel zu den Doppelbetten der Eltern stand ihr Bett und davor, gerade dass man sich im Raum dazwischen wenden konnte, sein Kinderbett mit den heruntergeschobenen Seitengittern.

„Das ist zwecklos“, wehrte sie ab, „da werden sie als erstes nachschauen!“

Im Erdgeschoss schmetterte der Luftzug eine Tür ins Schloss. Dem Aufschrei ihrer Untermieterin folgte unverständliches Grunzen.

„Los, mach schon!“ Helmut riss seine Schwester mit der Kraft seiner neun Jahre zu Boden und stieß und drückte die sieben Jahre altere unter sein Bett.

Im Erdgeschoss polterte es von Zimmer zu Zimmer.

Helmut begann, an seinem schweren eisernen Bettgestell zu ziehen.

Jetzt kamen sie die Treppe herauf, schon knarrte die fünfte Stufe von oben, auch die zweite war lose. Ein Schlag und die Glasscheibe der Wohnungstür zerbrach. Die Stimme der Mutter ging in Jammern über.

Das Rohrgestell rührte sich nicht von der Stelle.

Im Wohnzimmer nebenan wurde eine Geige holprig gestrichen, kehliges Gelächter, ein paar wodkaselige Takte Gesang, dann Gebrüll. Mehr Takte eines Walzers, offenbar zwangen sie den Vater zu spielen.

Helmut biss die Zähne zusammen, aber das Bett bewegte sich keinen Millimeter.

„Versuchs von der anderen Seite“, zischte Doris.

Ihr Bruder drückte, der Kopf rot, das Haar schweißverklebt. Endlich schob sich der Eisenguss langsam über das Linoleum und hinterließ flache Dellen.

Schwere Stiefel wanderten durch den angrenzenden Raum und kamen der Zimmertür immer näher.

Heftig keuchend schloss Helmut die Lücke zwischen den Betten, schmiss sich selbst in das vordere und zog die Decke über sich.

Zitternd schob sich Doris an die Wand, Staubflusen kitzelten in ihrer Nase. Sie klemmte den Nasenrücken mit zwei Fingern. Ein Niesen und sie wäre verloren!

Im gleichen Moment, als mit einem Ruck die Stubentür aufgerissen wurde, zuckte ein Sonnenstrahl über den Boden. Schwarze Knobelbecher auf der Schwelle. Verbogene Ösen, abgestoßene Kappen, eine Sohle einseitig wie zu einem schiefen Grinsen gebleckt.

Sie wagte nicht Luft zu holen, lauschte mit offenem Mund den rasselnden Lungen der Männer.

Eine Ewigkeit bewegten sich die Stiefel nicht. Vermutlich beobachteten die Männer den schlafenden Jungen im Bett.

„Krank, mein Sohn,“ sagte Vaters Stimme aus der Tiefe des Wohnzimmers.

„Wo dotsch, Tochter?“, knurrte der eine Eindringling.

Mutter schniefte und schneuzte: „Tochter, njet.“

Nun mussten ihre Augen durchs Zimmer wandern.

Achtbeinig trippelte eine behaarte langbeinige Spinne aus dem Dunkel unter Vaters Bett herüber. Namenloses Grauen erfasste Doris, als das Biest ihr Handgelenk enterte. Ihr Unterkiefer verkrampfte sich, sie kniff die Augen zu, um sie nicht mehr zu sehen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie sie kreischend erschlagen.

Die schlammverkrusteten Schnürsenkel gingen an den Betten vorbei ans Fenster.

„Lieber Herrgott, mach, dass er sich nicht bückt!“, betete das Mädchen lautlos und fixierte voller Ekel das leichtfüßige Monster, das in Ellbogenhöhe Falte um Falte des Pullovers überwand.

Ein zweites kleineres Paar Stiefel, über dessen Schaft Zipfel von Fußlappen hingen, blieb in der Türöffnung stehen. „Abgechauen, Aljura[2]“, einer spuckte aus.

Ein grüngelber Fladen Speichel klatschte neben dem Bettpfosten auf den Fußboden.

„Dawai, tschissy, Uhr!“ krächzte ein rauer Bariton.

Auf dem Nachtkästchen stand schon lange kein Wecker mehr. „Nebenan... in der Küche...da ist Uhr“, sagte Vater.

Beide Stiefelpaare verharrten, drehten sich schließlich und verließen das Zimmer.

[1] - russisch: Schlampe
[2] - Nutte